C o n r a d H a a s

Im Jahre 1961, kurz nachdem der erste Mensch in den Weltraum aufgestiegen war, entdeckte man im Staatsarchiv von Hermannstadt/Sibiu, der siebenbürgischen Geburtsstadt Hermann Oberths, eine Handschrift, die einen bis dahin der Öffentlichkeit wie der Fachwelt unbekannten Namen ins Gespräch brachte: den Raketenpionier Conrad Haas.

Sein "Kunstbuch", unter der Signatur "Varia II 374" vermerkt, war zwar von früheren Historikern schon erwähnt worden; doch war sein Inhalt von niemanden so richtig untersucht worden, denn wer hielt schon bis um die Mitte des 20. Jh. etwas von Raketen? Nun aber war die Zeit dafür herangereift. Die Pionierjahre der aktiven Raumfahrt waren angebrochen, Raketen und ihre Entwicklungsgeschichte weckten das Interesse der Öffentlichkeit.

Die Handschrift des Conrad Haas, sie wurde in den Jahren 1529 bis 1569 verfaßt, weist ihn als den ältesten bisher bekannten Vorläufer der modernen Mehrstufenrakete aus, als einen Raketenbauer, der durch seine Beschreibungen und Skizzen, seine Erfindungen und Lösungen vieles seiner Zeit vorwegnahm. Bis dahin wurden die Prioritätsverdienste der Beschreibung und Entwicklung mehrstufiger Raketen dem polnischen Waffentechniker Kazimierz Semienowicz zugeschrieben. Dessen diesbezügliche Schrift stammte aus dem Jahr 1650. Zeitlich liegen also Haas und Semienowicz über 100 Jahre auseinander, was für die Entwicklungsgeschichte der Wissenschaft und Technik offenkundig schwer ins Gewicht fällt.

Das Hermannstädter "Kunstbuch", für das der aus Österreich stammende Zeugwart und Büchsenmeister zeichnet, lieferte nun den schlüssigen Beweis dafür, daß die älteste konstruktionstechnische Abhandlung über herkömmliche Stufenraketen aus viel früherer Zeit stammt. Das Gleiche gilt für Bündel- und Bumerangraketen, für Raketenbatterien und andere kombinierte Raketensysteme, für deltaförmige Düsen und Stabilisierungsflossen, sowie für viele andere raketentechnische Details. In der reichlich bebilderten Kurzmonografie über Conrad Haas werden seine Prioritätsverdienste wie folgt zusammengefaßt:

  1. Mehrstufen- und Bündelraketen
  2. Anordnung der Treibstoffsätze bei Stufenraketen
  3. Verwendung unterschiedlicher Treibstoffgemische je nach Raketentyp, Leistungsstärke, Einsatzbereich und Formgestaltung
  4. Verwendung flüssiger Treibstoffzusätze (Alkohol)
  5. deltaförmige Stabilisierungsflossen
  6. das "fliegende Häuschen", eine Vorwegnahme der Idee des Raumschiffes

Beeindruckend ist nicht zuletzt aber auch die humanistische Grundhaltung von Conrad Haas, die in dem Schlußsatz zu seinem Raketenbuch deutlich hervorgeht: "Aber mein Rath mehr Fried und kein Krieg, die Büchsen do sein gelassen unter dem Dach, so wird die Kugel nit verschossen, das Pulver nit verbrannt, so behielt der Fürst sein Geld, der Büchsenmeister sein Leben; das ist der Rath so Conrad Haas tut geben".

Literatur: Barth, Hans: Conrad Haas. Leben und Werk in Wort und Bild, Kriterion Verlag 1983 (aus Restbeständen ist das Buch über den Autor erhältlich, Preis: 25 DM)