Der wirkliche Vater der Weltraumfahrt


Wenn es nach den Rezensenten ginge, die meine 1991 erschienene Hermann Oberth-Biographie besprachen, so müsste diese Neuauflage eigentlich gar nicht mehr erscheinen. Handelt es sich  doch um zwei Raumfahrwissenschaftler, deren Urteil an Gewicht kaum noch zu überbieten wäre: Beide lernten ihr Handwerk unter keinem geringeren als Wernher von Braun in Huntsville, wo sie Hermann Oberth auch persönlich erleben durften, und später dann nach Deutschland zurückkehrten, um hier die ersten Hochschulinstitute für Raumfahrt aufzubauen: Prof. Dr.-Ing. Heinz-Hermann Koelle (als Nachfolger von Eugen Sänger) an der TU Berlin und Prof. Dr.-Ing. Harry O. Ruppe an der TU München. Die ausführliche Besprechung von H.-H. Koelle beginnt nämlich mit dem Satz: ,,Diese autorisierte Biographie Hermann Oberths ist die erste nach seinem Tode und wird vermutlich auch die letzte sein, da der Verfasser alles zusammengetragen hat, was das Leben und Wirken des bedeutenden Mannes in allen Details beschreibt.“ 


Und auch die darauf folgende Bewertung läßt auf Vollständigkeit schließen: „Das in ausgezeichneter Qualität und mit vielen, teilweise noch unbekannten Illustrationen gestaltete Buch ist in 26 Kapitel gegliedert, beginnend mit dem Elternhaus bis zu Betrachtungen des Autors über das Raumfahrtzeitalter und die Zukunft dieses Planeten. Die wesentlichen Einzelheiten über den Menschen und das Werk des anerkannt bedeutendsten Wegbereiter der Raumfahrt werden in geschickter und interessanter Weise vom Verfasser vor dem Leser ausgebreitet. Selbst diejenigen Leser, die das Glück hatten, Oberth persönlich kennenzulernen und ihn auf Teilstücken seines Lebensweges zu begleiten, werden noch Dinge erfahren, die ihnen bisher unbekannt waren. Es kann nicht die Aufgabe eines Rezensenten sein, die Leistungen eines Hermann Oberth aufzuzählen oder zu bewerten, er kann nur ein Urteil abgeben wie gut es dem Verfasser gelungen ist, das Werk dieses genialen Theoretikers und Erfinders zu würdigen. Dieses ist ihm gelungen. Er hat nicht nur Hermann Oberth ein bleibendes Denkmal gesetzt, sondern die Art und Weise, wie er dieses getan hat, muß anerkannt werden. Der Verfasser hat sich zum Lebensziel gesetzt, das Leben und die Verdienste seines Landsmannes in das richtige Licht zu setzen und zu dessen Nachruhm einen wichtigen Beitrag zu leisten. Es ist ihm tatsächlich gelungen; aus der Fülle des ihm zur Verfügung gestellten Materials fast alles herauszufiltern, was ihm in diesem Zusammenhang der Nachwelt zu überliefern wichtig erscheint. (...) Dieses Buch ist ohne Zweifel geeignet, auch der neuen Generation von Raumfahrtenthusiasten ein Leitstern zu sein, da es doch zeigt, daß ein Mensch, von seiner Idee beseelt, diese auch im Laufe seines Lebens verwirklichen kann. Die Welt ist an Idealisten arm geworden, Hermann Oberth war einer und wird für immer Vorbild für alle diejenigen sein, die sich die Erforschung und Erschließung des Weltraums und seiner Himmelskörper zum Lebensziel gemacht haben.“


Im gleichen Sinne läßt auch H. O. Ruppe keine Mißverständnisse aufkommen: ,,Endlich liegt die Biographie Oberths vor, wie sie nur ein Freund und selbst ein Kenner der Materie schreiben konnte. Liebevoll geht der Autor auf viele Einzelheiten ein; er beschreibt detailliert und genau Oberths schweren, doch nie langweiligen Lebensweg - voller Tatendrang und Opfer, reich an Erfolgen und Ehrungen, doch auch nicht arm an Enttäuschungen und Schwierigkeiten.(...) Dieses gutbebilderte, mit Informationen gespickte Werk gehört in jede Raumfahrtbücherei; doch darüber hinaus sollte es jeder lesen, der vom Leben eines Genies unserer Zeit wissen will. Auch und insbesondere bei der Jugend möchte ich weite Verbreitung wünschen, weil es exemplarisch zeigt, was ein Mensch erreichen kann, wenn Genie und Fleiß zusammenkommen.“ 


Und dennoch: wer (weiter) sucht, der findet! Ein neues Buch ist fällig, da es spannende Neuerkenntnisse mitzuteilen gibt. Es sind aufregende Fakten und Begebenheiten, die unerschließbar waren, solange der Eiserne Vorhang, der den Zugang zu wichtigen Quellen versperrte, Bestand hatte. Nun aber wissen wir weitaus mehr auch über Oberths Einfluß auf die Entwicklung der Raumfahrt in der ehemaligen Sowjetunion. Es waren nämlich nicht nur Oberths Bücher, die dort den ersten Anstoss auslösten. Die Raketentechniker in Moskau und Leningrad hatten zudem auch ihren Mann in Berlin, der dicht neben Oberth stand, und über alles, was dieser tat und erreichte, umfassend und genau (über den militärischen Geheimdienst an der russischen Botschaft) nach Rußland berichtete. So wurde auch dort eine rege Entwicklungstätigkeit hinsichtlich der Flüssigkeitsraketen angestossen. Daraus ergibt sich denn auch ein anderes Bild über die Entwicklung der russischen Raumfahrt, mit den beiden Glanzleistungen: erster Satellit und erster Mensch im All - sie verdankt Hermann Oberth zwei wichtige Impulse: einen unmittelbaren durch Oberths Veröffentlichungen und seine Versuchsarbeiten in Berlin, sowie einen mittelbaren Anstoss durch die in Peenemünde realisierte Raketentechnologie, die auf seinen Grundlagenarbeiten fusste, und die nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in Rußland als auch in den USA als Ausgangsbasis ausgiebig genutzt wurde.


Es überrascht, so gesehen, denn auch nicht, daß Hermann Oberth schon in den dreissiger Jahren (des 20. Jahrhunderts) nicht weniger als dreimal für Rußland angeworben wurde; einer dieser Anwerbungsversuche ist nun auch schriftlich dokumentiert. Doch während man in Rußland sich zu den „deutschen Wurzeln“ der Raumfahrt mit zunehmender Gelassenheit bekennt, gibt es in den USA eher gegenläufige Strömungen. Obwohl die amerikanische Raketentechnik und Raumfahrt das „Erbe von Peenemünde“ wohl am ausgiebigsten nutzte, versucht man jetzt schon seit Jahren, indirekt oder verdeckt, die Entwicklungsgeschichte der USA-Raumfahrt zu „entdeutschen“. Sollte nicht auch dies einmal angesprochen werden? 


Auch hat sich zwischenzeitlich eindrucksvoll bestätigt, was Hermann Oberth bereits in seiner Erstlingsschrift von 1923 vorausgesagt hatte: Weltraumtechnik wird sich eines Tage auch wirtschaftlich lohnen. Nehmen denn seit 2005 bereits jeder Europäer und jeder zweite Erdenbürger tagtäglich Leistungen in Anspruch – Stichworte: TV, Telefon, Internet, Verkehr, Standortbestimmung, Wettervorhersage usw. -, die ohne die Hilfe aus dem All unmöglich wären. Und auch die Internationale Raumstation ISS, das bislang mächtigste Bauwerk der Menschheitsgeschichte, wurde und wird so aufgebaut und genutzt, wie Hermann Oberth es stets empfohlen hatte, nämlich, in internationaler Zusammenarbeit vieler Länder. 


Und die neuen Vorhaben, die in den einschlägigen Denkfabriken erarbeitet werden, sind noch weitreichender und kühner: von der Besiedlung des Mondes ist die Rede und von der Landung auf dem Nachbarplaneten Mars. Wobei auch wiederum daran zu erinnern ist, wer dazu die Grundlagen und Voraussetzungen schuf. Denn allein auf diese Art und Weise kann die Entwicklungsgeschichte der Raumfahrt wahrheitsgetreu nachgezeichnet werden. 


Wie ersichtlich: Es gibt reichlichen Stoff für ein neues Buch über Hermann Oberth, den „wirklichen Vater der Raumfahrt!“, wie Willy Ley (und alle objektiven Raumfahrthistoriker) dieses siebenbürgendeutsche Genie bewerten.